Thunersee Blog
«Chästeilet im Justistal»
Ich nehmen Sie mit auf eine unvergessliche Reise am Spycherberg, wo Tradition, Gemeinschaft und köstlicher Käse aufeinander treffen. Begleiten Sie mich auf meinem persönlichen Abenteuer zur Chästeilet im Justital, wo ich nicht nur den Brauch des Käseteilens entdeckt habe, sondern auch die Herzlichkeit und Gastfreundschaft einer eng miteinander verbundenen Gemeinschaft erleben durfte. Tauchen Sie mit mir in die 300-jährigen Tradition der «Chästeilet im Justital» ein.
Um 8:01 Uhr fuhr der Bus vom Bahnhof Thun Richtung Sigriswil los. Die Strecke entlang des Thunersees war angenehm und dauerte rund eine halbe Stunde. Die Gemeinde Sigriswil besteht aus den 11 Ortschaften: Sigriswil, Aeschlen, Endorf, Gunten, Meiersmaad, Merligen, Reust, Ringoldswil, Schwanden, Tschingel, Wiler.
In Sigriswil Dorf angekommen hat man zum einen die Möglichkeit eine wunderschöne Wanderung über die «Falle» ins Justistal zu unternehmen. Da es jedoch regnerisch und frisch war, entschieden wir uns, das Angebot des Shuttlebusses anzunehmen. Denn ab Sigriswil ist die Strasse für den Privatverkehr gesperrt. Einzig Fahrten der Bewirtschafter sind erlaubt. Daher traf man auf der Strecke wunderschön mit Blumen geschmückte landwirtschaftliche Fahrzeuge an, die ihre Anhänger dazu nutzen, ihre Familie und Freunde ins Justistal zu chauffieren.
Am Endpunkt der Fahrt führte eine Strasse weiter ins Tal. Wir schulterten unsere Rucksäcke auf und marschierten los. Der erste Halt mit der Möglichkeit sich zu verpflegen, gibt es bei der Alphütte Grön bzw. der Grönwaldhütte. Das Grön ist die vorderste Alp im Justistal. Der dort hergestellte Käse wird direkt vor Ort geteilt.
Unser Weg führte uns jedoch weiter zu den Käsespeichern, welche unterhalb der Alp Spycherberg liegen. Bei diesen Speichern teilen sieben der neun Alpen und Alpgenossenschaften ihren Käse. Wie das Grön, teilt auch die Alpgenossenschaft Spycherberg den Käse bei ihrer eigenen Hütte weiter oben. Wir bleiben jedoch bei den vier Speichern.
Drei der Speicher haben jeweils den Käse von zwei Alpgenossenschaft gelagert. Der Grosse Mittelberg ist die grösste Alp im Tal. Hier verweilen im Sommer 55 Kühe, 12 Ziegen und 40 Schweine auf der Alp. Die Alp wird von drei Sennen bewirtschaftet und rund 7.5 Tonnen Käse produziert. Darum hat sie als einzige Alp einen eigenen Speicher.
Mittlerweile ist es etwa 10:30 Uhr. Es gibt eine Festwirtschaft mit Essen und Getränken. Viele der Kuhrechtbesitzer haben ihre eigene Verpflegung für sich, ihre Familie und Freunde dabei. Wir durften uns bei Daniel Eschmann verpflegen. Er ist Bergrechtbesitzer des Grossen Mittelbergs, Mitglied der Geschäftsleitung der Hauenstein Gruppe und bezeichnet sich selber als Sofa-Bauer. Ein Bauer, der eine Kuh auf der Alp hat, jedoch selbst kein Bauer ist. Wir stossen mit einem Schluck Weisswein an und geniessen frischgebackenen Zopf und leckeren Hobelkäse und warten auf das Schauspiel des «Chästeilet».
Bevor es jedoch losgeht, bekommen wir eine Einführung von Daniel Eschmann persönlich, der zeitgleich 25-Jahre Alpsömmerung Justitstal feiert. Er hat dieses Recht von seinem Grossvater geerbt. Gerne gebe ich Ihnen die Erklärungen und Erläuterungen von Daniel weiter:
«Jeder Kuhrechtbesitzer hat den Sommer über seine Kuh/seine Kühe auf der Alp. Auf die 55 Kühe kommen 34 Besitzer. Die Alpsaison startet im Juni und endet im September. Einmal in der Woche, wird die Milch pro Kuh gewogen und ins Milchbuch eingetragen. Ende Saison hat man eine gewisse Menge an Käse, welche produziert worden ist, zu einer gewissen Menge an Milch – eine einfache 3-Satz-Rechnung. Was folgt ist nun ein wenig schwieriger verständlich. Es gibt eine eigenständige Einheit: Saum. Ein Saum sind 400 Pfund Milch. Vier Säume gibt ein Los. Ein Los gibt ein Stapel Alpkäse à rund 70 kg. »
Daniel selber hat 8 Säume: wie viele Stapel Käse bekommt er? 8 Säume geteilt durch vier ergibt 2 Lose. Daniel bekommt zwei Stapel Alpkäse.
Während das Gewicht des Käses vom Juni sich nicht mehr gross verändert, wird der Käse, welcher im September produziert wurde noch reichlich an Pfund verlieren. Daher werden im Vorfeld die Käselaibe in möglichst gleiche Lose von älteren, mittleren und jüngeren Laiben mit möglichst gleichem Gesamtgewicht (137-138 Pfund) zusammengestellt.
Dass es mit dem Milchertrag und der Lose aufgeht ist fast nicht möglich. Daher kommt es oft vor, dass jemand 8.5 oder 6.5 Säume hat. Ein ungeschriebenes Gesetz aus dem Jahr 1750 besagt, dass kein Käselaib verschnitten werden. Der Käse muss jedoch geteilt werden. So kommt es, dass der eine dazukauft und der andere einen Teil verkauft. So bleiben alle Käseleibe ganz.
Um Punkt 11:00 Uhr werden die Käselaibe von den Sennen, Sennerinnen, Bergrechtbesitzer und Bergrechtbesitzerinnen herausgetragen und auf Holzlatten aufgestapelt. Es sind gesamthaft 740 Käselaibe a 98 Lose. Um die Speicher versammeln sich alle Schaulustigen und beobachten das Geschehen gespannt. Nach einer Stunde wird der letzte Laib auf das letzte Los abgelegt.
Nun wird ausgelost. Die Käserin, Flavia Liechti, hat ein Seckli mit genauso vielen Holzschilder, sogenannte «Brittleni», wie es Lose hat: also 98. Auf diesen «Brittleni» stehen die Namen des Bergrechtbesitzers oder Bergrechtbesitzerin und die Anzahl Säume, welche das Los (den Stapel Käse), bekommt. Die Käserin geht durch die Käsereihe und legt auf jedes Los ein «Brittleni» hin und ruft den Namen des Besitzers, der Besitzerin aus, bis alle «Brittleni» und somit alle Käsestapel aufgeteilt sind. Dort wo mehr als ein Name steht muss dann geteilt werden.
Eine weitere spannende Frage für Sie: Was ist der Unterschied zwischen Bergkäse und Alpkäse? Alpkäse ist nicht gleich Bergkäse. Alpkäse wird nur im Sommer während der so genannten Sömmerung auf der Alp hergestellt. Bergkäse hingegen wird das ganze Jahr über in den Dorfkäsereien von Bergregionen produziert, also auch im Winter, wenn die Tiere im Stall mit Heu gefüttert werden.
Nun wird die ganze Sache ein wenig wild. Die Familie, Freunde und Bekannte der Besitzer, der Besitzerin helfen, die Käseleibe in die jeweiligen Fahrzeuge zu schaffen um sie im Anschluss in den Käsekeller zu transportieren. Hier sind viele helfende Hände gefragt. Der Käse ist geteilt.
Nachdem der Käse in allen Fahrzeugen verstaut wurde, kam ich mit vielen Fremden ins Gespräch. Wir reden über die Tradition, die Umgebung und wie ausserordentlich die Gastfreundschaft ist. Es ist eine wunderbare Veranstaltung mit wunderbaren Menschen in einer wunderbaren Umgebung. Gerne empfehle ich Ihnen, im nächsten Jahr, am 20. September 2024, selbst dabei zu sein.
Von den Glocken angekündigt bahnen sich die Kühe ihren Weg entlang der Strasse aus dem Tal heraus in ihr Winterlager. Der Alpabzug ist ein allgemeines Highlight, was es natürlich auch in anderen Regionen gibt. Viele von ihnen sind geschmückt mit Blumen, aber nicht alle. Warum ist das so? Nun, nur Kühe, welche eine gewisse Milchleistung auf der Alp erbracht haben, werden geschmückt und bekommen den «Meien». Die verschiedenen Alpgenossenschaften haben jedoch verschiedene Abgrenzungen und regeln dies individuell.
Nach dem dritten Zug der Kühe, machen auch wir uns zu Fuss auf den Weg Richtung Sigriswil. Der Abgang dauert mit individuellen Zwischenstopps gut zwei bis zweieinhalb Stunden. Die Aussicht auf den See und die gegenüberliegende Gegend ist atemberaubend. Ab und zu kommt wieder eine Herde Kühe von hinten, für die wir Platz machen oder wir treffen auf Menschen, mit denen wir ins Gespräch kommen. Bisher war der Tag ein einziges Abenteuer, welches aber noch lange nicht vorbei ist.
Viele der Bergrechtbesitzer, Bergrechtbesitzerinnen in Sigriswil bieten für ihre Familie, Freunde und Bekannte im Garten oder Garage Verpflegung an. Auch hier sind helfende Hände willkommen, denn der Käse muss von den Fahrzeugen in den Käsekeller gebracht werden. Bei Daniel Eschmann gibt es für uns eine Suppe zur Stärkung. Die Stimmung ist super. Es wird gelacht, getanzt und die Zusammenkunft genossen. Wer danach immer noch nicht genug vom Tag hat, kann beim Dorfplatz noch ins Festzelt, wo noch weit in die Nacht mit Musik gefestet werden kann.
Mein persönliches Fazit zur «Chästeilet im Justistal»
Meine Reise ins Justistal hat mir gezeigt, dass es nicht nur um Käse und Tradition geht, sondern vor allem um die Menschen und die Geschichten, die dieses Tal beleben. Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem Blogbeitrag die «Chästeilet im Justistal» ein wenig näherbringen. Ich kann es Ihnen von ganzem Herzen empfehlen, dieses Spektakel nach dem nächsten Alpsommer selber zu besuchen.
Die «Chästeilet» findet am 20. September 2024 statt. Ich bin dabei!
Galerie
Hier noch weitere fotografische Eindrücke dieses Tages für Sie.